joomplu:3317Forscher der Universitätsmedizin Göttingen (UMG) und des Deutschen Primatenzentrums – Leibniz-Institut für Primatenforschung (DPZ) zeigen verbesserte Frequenzauflösung künstlichen Hörens durch optische Stimulation des Innenohrs.
Musik genießen, Melodien erkennen oder das Zuhören in einer Umgebung mit vielen Hintergrundgeräuschen – das ist immer noch schwierig für Menschen, die beim Hören auf Hörprothesen, so genannte Cochlea-Implantate, angewiesen sind. Göttinger Hörforscher konnten jetzt nachweisen, dass sich die Qualität des künstlichen Hörens maßgeblich verbessern ließe, wenn die Hörbahn mittels Licht statt mit elektrischem Strom stimuliert wird.

Bild: Rekonstruktion des Innenohrs einer Mongolischen Wüstenrennmaus mit der Hörschnecke und Gleichgewichtsorganen
Carlos Duque-Afonso, Institut für Auditorische Neurowissenschaften/umg



Wissenschaftler um Prof. Dr. Tobias Moser, Direktor des Institutes für Auditorische Neurowissenschaften an der Universitätsmedizin Göttingen (UMG) sowie Leiter der Forschungsgruppe Auditorische Neurowissenschaften und Optogenetik am Deutschen Primatenzentrum – Leibniz-Institut für Primatenforschung (DPZ), haben in einer kürzlich veröffentlichten Studie das Auflösungsvermögen für Tonhöhen beim natürlichen sowie künstlichen Hören gemessen und bestimmt. Dabei verglichen sie die in Göttingen entwickelte Anregung des Hörnervs mittels Licht (optogenetische Anregung) mit natürlichem Hören und dem Hören mit Hilfe des etablierten elektrischen Cochlea-Implantats im Tiermodell. Über die Untersuchung der Nervenaktivität im Mittelhirn gewannen die Wissenschaftler vergleichbare Daten über das Auflösungsvermögen für Tonhöhen (Frequenz) bei akustischem, optischem und elektrischem Hören.

Die Wissenschaftler des Göttingen Campus kommen in ihrer Studie zu dem Ergebnis, dass die künstliche Anregung der Hörbahn mittels Licht eine wesentlich höhere Auflösung als die Anregung mittels Strom ermöglicht. Bei niedrigen Anregungsintensitäten war die Tonhöhenauflösung ihren Untersuchungen zufolge sogar so gut wie beim natürlichen Hören. Diese neuen Erkenntnisse lassen die Forscher hoffen, dass es mit künftigen optischen Cochlea-Implantaten gelingen könnte, das Hörvermögen von Schwerhörigen besser wiederherzustellen. Die vorklinische Forschung wurde durch das Projekt „OptoHear“ des Europäischen Forschungsrats (ERC) gefördert. Die Forschungsergebnisse sind veröffentlicht in Nature Communications.

Originalveröffentlichung: Dieter A, Duque-Afonso CJ, Rankovic V, Jeschke M, Moser T (2019): Near physiological spectral selectivity of cochlear optogenetics. Nature Communications, (doi: 10.1038/s41467-019-09980-7).

FORSCHUNGSERGEBNISSE IM DETAIL

In ihrer neuesten Studie ist es den Forschern um Professor Moser erstmals gelungen, die Frequenzauflösung der optogenetischen Anregung des Hörnervs umfassend zu charakterisieren und mit der Frequenzauflösung elektrischer und akustischer Anregung zu vergleichen. Während das Innenohr im Tiermodell optogenetisch, elektrisch oder akustisch angeregt wurde, zeichneten die Forscher die neuronale Aktivität im auditorischen Mittelhirn auf. Diese Untersuchung nutzt aus, dass im Hörsystem unterschiedliche Frequenzen an verschiedenen Orten verarbeitet werden. Über eine aktivitätsbasierte Analyse der Anregungsbreite – dies bedeutet in etwa, wie viele Nervenzellen, die verschiedene Frequenzen verarbeiten, gleichzeitig aktiv sind – bestimmten sie dann die Frequenzauflösung der verschiedenen Anregungsmodi. Dabei zeigte sich, dass die Frequenzauflösung künstlichen Hörens durch optische, im Vergleich zu elektrischer Stimulation wesentlich verbessert werden kann. Bei geringen Stimulationsintensitäten könnte sogar eine natürliche Hörqualität erreicht werden, da dann die Frequenzauflösung von optogenetischer und akustischer Anregung nicht zu unterscheiden war.

„Unsere Ergebnisse zeigen erstmals, dass die Frequenzauflösung optogenetischer Stimulation des Hörnervs in feineren Stufen erfolgen kann, als mit der bisher in der Klinik verwendeten elektrischen Stimulation in Cochlea-Implantaten erreicht wird“, sagt Alexander Dieter, Doktorand am Institut für Auditorische Neurowissenschaften, UMG, und Erstautor der Studie.

„Ein logischer nächster Schritt ist für uns nun, die Stimulation auf mehr Kanäle zu erweitern. In den bisherigen Untersuchungen haben wir die Einkanalstimulation eingesetzt. Nun wollen wir mittels Mikroleuchtdioden-Arrays über mehrere Kanäle stimulieren“, sagt Dr. Marcus Jeschke, Nachwuchsgruppenleiter am DPZ und am Institut für Auditorische Neurowissenschaften der UMG, einer der korrespondierenden Autoren der Studie. „So möchten wir untersuchen, ob die Aktivierungen nahe beieinander liegender LEDs unterschieden werden können und wie und ob die Aktivierungen der einzelnen LEDs interagieren“, so Jeschke weiter. „Wenn künftige Tierversuche unsere Ergebnisse bestätigen, und die Biosicherheit unserer Technologie nachgewiesen wird, haben wir Hoffnung, dass optische Cochlea-Implantate künftig auch bei Menschen eingesetzt werden können“.

HINTERGRUND

Zur Wiederherstellung des Hörvermögens bei hochgradig schwerhörigen oder tauben Menschen werden heutzutage Hörprothesen, so genannte Cochlea-Implantate, verwendet. Diese werden in die Hörschnecke eingesetzt und regen den Hörnerv mittels elektrischen Stroms an. Cochlea-Implantate vermitteln weltweit mehr als 500.000 Patienten einen künstlichen Höreindruck, in der Mehrzahl der Fälle ermöglicht er ein Sprachverstehen.

Limitiert sind die bisher verwendeten Hörprothesen jedoch in der genauen Übertragung feiner Abstufungen der Tonhöhe (Frequenz). Für die Betroffenen bedeutet dies Schwierigkeiten bei der Sprachwahrnehmung in Umgebungen mit Hintergrundgeräuschen und beim Erkennen von Melodien.

Ursache der limitierten Frequenzauflösung heutiger Cochlea-Implantate ist die relativ weite Ausbreitung des elektrischen Stroms in der Cochlea: Hierdurch werden große Abschnitte des Hörnervs gleichzeitig aktiviert. Dadurch wird die Darstellung verschiedener Tonhöhen beim künstlichen Hören unpräzise. Bildlich vorstellen kann man sich dies am Beispiel eines Klaviers: „Während das natürliche Hören dem Anschlagen einzelner Tasten folgen kann, ist die Klangwahrnehmung mittels Cochlea-Implantat eher mit dem gleichzeitigen Anschlagen vieler Klaviertasten vergleichbar. Um ein natürlicheres Hörvermögen wiederherzustellen, müssten einzelne Tonhöhen besser unterschieden werden können“, sagt Prof. Dr. Tobias Moser, Senior-Autor der Publikation. „Dies wäre durch Anregung des Hörnervs mit Licht denkbar. Da Licht besser gebündelt werden kann als elektrischer Strom, erlaubt es eine präzisere Anregung des Hörnervs“, so Moser.

Gemeinsam mit seinem Göttinger Team und Kooperationspartnern forscht Tobias Moser an der Entwicklung optischer Cochlea-Implantate. Da der Hörnerv aber nicht lichtempfindlich ist, müssen funktionelle, genetisch kodierte Lichtsensoren in die Nervenzellen des Hörnervs eingebracht werden. Dieser Ansatz wird als „Optogenetik“ bezeichnet. Die optogenetische Anregung der Hörbahn wurde vor einiger Zeit an ertaubten Nagetieren entwickelt. Die Frage nach der Frequenzauflösung blieb allerdings bislang weitgehend ungeklärt.

HÖREN

Hören ist mehr als nur die Wahrnehmung akustischer Signale aus der Umgebung, die uns die tägliche Orientierung im Alltag erleichtern. Hören ist vielmehr die Grundlage für wechselseitige Kommunikation. Es ermöglicht uns den Informationsaustausch mit unseren Mitmenschen und die aktive Teilnahme am gesellschaftlichen Leben. Eine Einschränkung des Hörvermögens durch Schwerhörigkeit oder gar Taubheit bedeutet für viele der weltweit etwa 460 Millionen Betroffenen also nicht nur die Unfähigkeit, akustische Signale wahrzunehmen. Nicht-Hören-Können kann auch soziale Isolation und dadurch resultierende Einschränkungen der Lebensqualität bedeuten. Oft wird Taubheit durch den Verlust der Haarzellen in der Hörschnecke des Innenohrs – der Cochlea – bedingt, die bei normal hörenden Menschen die Schallwellen akustischer Signale in elektrische Signale umwandeln, welche dann über den Hörnerv an das Gehirn gesendet und dort ausgewertet werden.

Quelle: Universitätsmedizin Göttingen - Georg-August-Universität - Veröffentlichung in Nature Communications.

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