Die Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e.V. (DGPP) am Universitätsklinikum Regensburg (UKR) beschäftigt sich im Schwerpunkt mit frühkindlichen Hörstörungen und deren Heilungschancen.
Ein Baby reagiert auf die Stimme seiner Mutter. Für die meisten völlig normal. Für Claudia H. (Name geändert) ist es aber immer noch etwas Besonderes, dass ihr kleiner Lukas (Name geändert) sie ansieht und reagiert, wenn sie seinen Namen sagt.
Als Claudia schwanger wurde, stellte man im ersten Schwangerschaftsdrittel fest, dass sie sich mit dem humanen Cytomegalievirus (CMV) infiziert hatte. Wie mehr als die Hälfte aller jungen Mütter hatte auch Claudia vor ihrer Schwangerschaft noch keine CMV-Infektion durchlebt und deshalb keine Antikörper dagegen entwickelt. Drei aufeinanderfolgende Infusionen mit einem Antikörper-Serum sollten nun die Infektion bekämpfen und die Übertragung des Virus auf das ungeborene Kind verhindern, denn eine pränatale Ansteckung kann schwere Folgen für das Kind haben: Gelbsucht, Leber- und Milzvergrößerungen, Verkalkungen im Gehirn, ein zu kleiner Kopf, eine Schädigung der Augen oder ein Hörverlust sind möglich. Ob eventuelle Gehirn- und Organschädigungen eingetreten sind, wird bei Claudia alle vier Wochen per Ultraschall geprüft. Doch trotz der Antikörper-Therapie steckt sich Lukas mit CMV an. Auch wenn er bei Geburt noch keine Auffälligkeiten zeigt, wird nach drei Monaten festgestellt, dass er im linken Ohr eine leichte Schwerhörigkeit entwickelt hat. Lukas‘ Eltern suchen die Experten im Universitätsklinikum Regensburg auf in der Hoffnung, mit einer rechtzeitigen und zielgerichteten Behandlung eine Ertaubung ihres Kindes verhindern zu können.
Die CMV-bedingte kindliche Schwerhörigkeit ist eines der Hauptthemen der 33. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP), die vom 22. bis 25. September 2016 am Universitätsklinikum Regensburg stattfindet. Weitere Schwerpunkte der Tagung sind Grenzfälle der Versorgung frühkindlicher Schwerhörigkeit und Schluckstörungen bei Kopf-Hals-Tumoren. Erwartet werden an den drei Tagen mehr als 300 Fachärzte für Phoniatrie und Pädaudiologie (Stimm-, Sprach- und kindliche Hörstörungen) sowie Teilnehmer aus den Gebieten Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Logopädie, Psychologie und Akustik.
„Regensburg ist als Tagungsort für die DGPP prädestiniert, genießt doch die Phoniatrie und Pädaudiologie des Klinikums überregional hohe fachliche Wertschätzung. Insbesondere auf dem Gebiet der Schluckstörungen, einem zentralen Bestandteil des Fachgebietes, besteht hier durch interdisziplinäre Versorgungskonzepte unter Einbindung von Rehabilitationsstrukturen eine klinische und wissenschaftliche Expertise mit bundesweiter Ausstrahlung“, erläutert Professor Dr. Götz Schade, Präsident der DGPP.
Kindliche Hörstörungen früh erkennen und gezielt behandeln
Die Hauptthemen der diesjährigen Jahrestagung zielen auf aktuelle wissenschaftliche und klinische Brennpunkte des Fachgebietes. Kindliche Hörstörungen sind mit ein bis zwei hörgeschädigten Kindern pro 1.000 Neugeborenen die häufigste angeborene sensorische Störung und stellen eine besondere Herausforderung für das Fachgebiet dar. Mit der Einführung des Neugeborenen-Hörscreenings stehen Phoniater und Pädaudiologen schon in den ersten Lebensmonaten der Säuglinge in der Verantwortung, die Schwerhörigkeit mit verlässlichen Untersuchungsmethoden exakt zu diagnostizieren und einen adäquaten Versorgungsweg einzuleiten.
Lukas‘ Hörstörung wurde mit Virostatika behandelt, um einer Ertaubung entgegenzuwirken. Und tatsächlich, der erneute Hörtest drei Monate später zeigte bei beiden Ohren keine Auffälligkeiten mehr. „Hätte man Lukas' Mutter nicht gezielt auf CMV untersucht und die bei einer Infektion empfohlenen Hörtests durchgeführt, wäre die Schwerhörigkeit nicht entdeckt worden“, führt Professor Dr. Peter Kummer, Leiter der Phoniatrie/Pädaudiologie in der Klinik und Poliklinik für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde des UKR und diesjähriger Tagungspräsident der DGPP, aus. „Die Schwerhörigkeit, die sich zu einer Taubheit weiterentwickeln kann, ist ohne Behandlung irreversibel.“
Hinsichtlich der Ursachen kindlicher Schwerhörigkeit kommt der Infektion mit dem Cytomegalievirus, dem weltweit häufigsten Überträger kongenitaler Infektionen, besondere Bedeutung zu. Unter den Folgen der CMV-Infektion ist die sensorineurale Schwerhörigkeit am häufigsten, gefolgt von neurologischen Entwicklungsstörungen, kognitiven Defiziten und Sehstörungen. CMV-Infektionen bilden mit einem Anteil von 20 bis 25 Prozent die häufigste nicht-genetische Ursache der frühkindlichen sensorineuralen Schwerhörigkeit. In den interdisziplinären Diskurs des Themas sind auf der Tagung verschiedene Fachgebiete eingebunden, insbesondere auch Kinderärzte und Virologen. Im Mittelpunkt stehen aktuelle Untersuchungen zur Prävention und Diagnostik der kongenitalen CMV-Infektion, aber auch zu medikamentösen Therapieansätzen bei Früh- und Reifgeborenen. Die sich daraus ergebenden Konsequenzen für neue phoniatrisch-pädaudiologische Standards in der Diagnostik und Therapie bei frühkindlicher CMV-bedingter Hörschädigung werden in einem hochkarätig besetzten Rundtischgespräch diskutiert.
„Wir haben das Thema bewusst als Schwerpunkt auf der Tagung gewählt, weil die CMV-Infektion eine der häufigsten Infektionen während der Schwangerschaft ist, die öffentliche Aufmerksamkeit aber noch relativ gering. Schicksale wie das von Lukas machen uns bewusst, wie wichtig das Wissen um eine CMV-Infektion und deren frühzeitige Behandlung sind“, so Professor Kummer weiter.
Auch der zweite Tagungsschwerpunkt beschäftigt sich mit frühkindlicher Schwerhörigkeit und beleuchtet Grenzfälle der operativen Versorgung. Durch den Paradigmenwechsel in der medizinischen Behandlung hochgradig Hörgeschädigter durch Etablierung der Cochlea-Implantation konnten die Ergebnisse der Hör- und Sprachrehabilitation hörgeschädigter Kinder in den letzten Jahren erheblich verbessert werden. Die neuen Möglichkeiten der frühzeitigen Diagnostik und die verbesserten Perspektiven verschieben aber auch die Grenzen zwischen operativer Cochlea-Implantation und apparativer Versorgung mit konventionellen Hörsystemen. In diesem Bereich werden aktuelle neurowissenschaftliche Erkenntnisse zu den Folgen einseitiger auditorischer Deprivation in der frühen Kindheit präsentiert und die klinisch immer wieder herausfordernden Grenzen zwischen konservativen und operativen Strategien zur Diskussion gestellt.
Schluckstörungen können lebensgefährdend sein
Mit besonderer gesundheitspolitischer und ökonomischer Relevanz ist das Thema Schluckstörungen (Dysphagie) bei Kopf-Hals-Tumoren verbunden. Schluckstörungen beeinträchtigen nicht nur erheblich die Lebensqualität von Patienten mit Kopf-Hals-Tumoren, sondern gefährden auch ihr Überleben bei Mangelernährung und Aspiration. In den Hauptvorträgen führender Fachvertreter der Hals-Nasen-Ohrenheilkunde, Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie, Strahlentherapie und Rehabilitationsmedizin werden verschiedene Konzepte für ein konsentiertes interdisziplinäres Vorgehen vorgestellt. Dabei werden Schluckstörungen als Folge der Therapie, aber auch aus präventiver Sicht erörtert und Aspekte der Frührehabilitation und Nachsorge dargestellt. Phoniater und Pädaudiologen sind in der Diagnostik und dem Management von Patienten mit Schluckstörungen besonders gefordert, gilt es doch standardisierte Versorgungsprozesse zu schaffen und das Netzwerk kompetenter Spezialisten bedarfsgerecht auszuweiten. Rundtischgespräche thematisieren sowohl Fallbeispiele aus der Praxis der Rehabilitation als auch die Perspektiven interdisziplinärer Versorgungsforschung auf dem Gebiet der Schluckstörungen bei Kopf-Hals-Tumoren.
„Neben Information und Wissensaustausch wollen wir mit der Tagung eine Plattform bieten, die die verschiedenen an der Behandlung kommunikationsgestörter Patienten beteiligten Professionen noch besser vernetzt. Wir streben gemeinsam eine verbesserte Versorgung unserer Patienten an – sowohl im Neugeborenen-Screening, um kindlichen Hörschäden vorzubeugen, als auch in der Betreuung von Tumorpatienten“, fasst Professor Schade zusammen.
Quelle: Universitätsklinikum Regensburg
Bild: (v.l.n.r.): Professor Dr. Götz Schade, Professor Dr. Peter Kummer und Professor Dr. Dirk Mürbe diskutierten und informierten über die Erkennung frühkindlicher Hörstörungen.