Es integriert die internen und externen Komponenten eines Cochlea-Implantats in ein System und wird unsichtbar unter die Haut eingesetzt: Erstmals in Deutschland wurde ein vollständig implantierbares Cochlea-Implantat (Totally Implantable Cochlear Implant – kurz TICI) in der Klinik und Poliklinik für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde des LMU Klinikums München eingesetzt. Im Rahmen einer Machbarkeitsstudie implantierte Prof. Dr. Joachim Müller, Leiter des Schwerpunkts Otologie und Cochlea Implantate, Ende November das neuartige TICI bei den ersten zwei Patienten, die unter hochgradigem Hörverlust leiden. Eine junge Frau, die unter hochgradigem Hörverlust leidet, ist damit die erste Person in Deutschland, der das neuartige TICI implantiert wurde.
Bild: Lautstark Talk der DCIG, Screenshot: Cochlear Implant Centrum Rhein-Main
Die Firma MedEl lieferte das neue CI System und ist damit der erste Hörimplantat-Hersteller, dessen vollständig implantierbares CI-System hier in Deutschland implantiert wurde. „Viele Jahre Forschung stecken bereits im TICI und so ist diese Machbarkeitsstudie für uns ein echter Meilenstein in der Firmengeschichte von MED-EL. Wir gratulieren Professor Müller und seinem Team zur gelungenen Operation. Danken wollen wir vor allem auch der ersten deutschen TICI-Nutzerin – schließlich werden auch ihre persönlichen Erfahrungen in die Weiterentwicklung bis zur Marktreife des TICI einfließen“, sagte MED-EL Deutschland Geschäftsführer Gregor Dittrich.
Die Studie wird als europäisches Kooperationsprojekt unter anderem zusammen mit der Universität Lüttich in Belgien durchgeführt.
Lautstark, der Talk
In der Gesprächsrunde der DCIG, wurde über die OP und das neue TCIC mit Prof. Müller und zwei Vertretern der Firma MedEl gesprochen. Wie zu erwarten, wurden keine Einzelheiten bekanntgegeben, da es sich um eine Machbarkeitsstudie handelt. Die Entwicklung unterliegt größtenteils noch der Geheimhaltung. Da MedEl schon erhebliche Gelder für die Vorbereitung und Entwicklung ausgegeben hat, ist das durchaus verständlich. Seit etwa 2 Jahren befindet sich das TICI in der Entwicklung. Viele Fragen (wie, wo sitzt das Mikrofon, wie funktioniert die Stromversorgung etc.), die im Chat während des Gesprächs gestellt wurden, blieben daher unbeantwortet. Das TICI wird etwas mehr kosten. Ob die Krankenkassen die Kosten übernehmen, wird noch abgeklärt. Für die Patient*innen unterscheidet sich der mit nur geringen Risiken einhergehende Eingriff nicht wesentlich von einer normalen CI-Operation. Er dauert etwas länger, weil zusätzliche Komponenten implantiert werden müssen. Wie nach einer klassischen CI-Operation erfolgt nach etwa vier bis sechs Wochen die „Inbetriebnahme“ des Systems. Das interdisziplinäre CI-Team am LMU Klinikum begleitet die Patient*innen unter anderem mit elektrophysiologischen Anpassungen an die individuelle Hörsituation und mit einem postoperativen Hörtraining. Im Rahmen der Studie finden weitere Untersuchungen statt.
Prof. Dr. med. Joachim Müller, sagt: „Schon durch Cochlea-Implantate konnten wir seit rund 30 Jahren das Leben von hochgradig schwerhörigen Menschen und taub geborenen Kindern enorm erleichtern. Doch einen Wunsch von Betroffenen hören wir in unserem Klinik-Alltag immer wieder: Die Implantate sollen am besten nicht oder nur wenig sichtbar sein, denn die Stigmatisierung durch die Gesellschaft ist wohl für viele hörbehinderte Menschen nach wie vor ein Thema und in vielen Situationen ein schweres Los.“ Er meint, Vorteile werden TICI in vielen Bereichen bringen
(Schwimmen, Hochleistungssport, Kinder).
Der CIV NRW ist gespannt, welche Lösung MedEl für folgende Fragen vorgesehen hat.
- Was ist mit der Stromversorgung? Beim Sprachprozessor des CI kann ich Reserve- Akkus mitnehmen und bei Bedarf schnell austauschen. Hinzu kommt eine begrenzte Lebensdauer von Akkus. Auch Langzeitbatterien werden irgendwann ausgetauscht werden müssen.
- Wo wird dass das Mikrofon platziert? Wird es im Gehörgang liegen und wenn ja, sind die damit verbundenen Probleme beseitigt? Wie wird die Klangqualität sein?
- Ist zu erwarten, dass auch im TICI, wie schon in anderen CI-Systemen, die Induktionsspule wegfallen wird? Der CIV NRW hofft, dass dies nicht der Fall ist.
Auch, wenn das Gerät nicht mehr sichtbar sein wird, wird der Nutzer trotzdem weiter taub oder schwerhörig sein. Er wird anders hören und nicht jeder wird optimales Sprachverstehen erreichen. Sollte es jemanden nur darum gehen, seine Hörbeeinträchtigung zu verstecken, wird ihm das auch mit TICI nicht gelingen.
Die Machbarkeitsstudie wird Schwachstellen erkennbar machen. Anpassungen werden sicherlich noch notwendig sein.
„Wir danken unseren Patient*innen für das entgegengebrachte Vertrauen und den vielen CI-Trägern für ihren Einsatz, der im Rahmen verschiedenster Studien den Fortschritt in der CI-Forschung ermöglicht hat“, sagt Prof. Müller. Weitere Operationen sind im europäischen Verbund in München und Lüttich in den nächsten Monaten geplant. Eine „Marktreife“ sowie eine allgemeine Zulassung bis zur offiziellen Verfügbarkeit werden noch mehrere Jahre in Anspruch nehmen.
CI Kandidaten sollten deshalb nicht auf die Verfügbarkeit von TICI warten.
Der CIV NRW wird diese spannende neue Entwicklung mit Interesse weiter verfolgen.
Das Totally Implantable Cochlear Implant – kurz TICI
Cochlea Implantate sind Hörhilfen, die es bei Taubheit oder hochgradiger Schwerhörigkeit, Betroffenen ermöglichen, Geräusche zu erkennen, Sprache zu verstehen oder Musik zu hören, wenn ein Hörgerät nicht mehr hilft. Dazu spielen beim „klassischen“ Cochlea Implantat (CI) interne und externe Systemkomponenten zusammen: Ein Mikrofon nimmt den Schall auf, im Sprachprozessor, der auch die Energieversorgung bereitstellt und hinter dem Ohr getragen wird, wird das akustische Signal in elektrische Pulse umgewandelt. Diese werden über eine Sendespule drahtlos durch die Haut zum eigentlichen Implantat übertragen. Dort werden sie dekodiert, über die Elektrode in der Cochlea zum Hörnerv geleitet, und als Hörnervenerregung der Hörbahn und dem Gehirn zur Weiterverarbeitung präsentiert.
Das neuartige TICI integriert alle internen und externen Komponenten eines Cochlea-Implantats – einschließlich Audioprozessor, Mikrofon und Akku – in ein System und wird unsichtbar unter die Haut eingesetzt. In Zukunft soll das TICI den Nutzerinnen und Nutzern ermöglichen, rund um die Uhr und in allen Lebenslagen zu hören, ganz ohne externe Komponenten.
CIV NRW Redaktion, Peter Hölterhoff
Quelle: Klinik und Poliklinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde am LMU Klinikum der Universität München,
Prof. Dr. med. Joachim Müller,
MED-EL Elektromedizinische Geräte Deutschland GmbH
Lautstark Talk DCIG