Corona: Auswirkungen auf die Selbsthilfearbeit
Viele Gesprächspartner berichteten, nach dem Lockdown erst mal eine gewisse Zeit gebraucht zu haben, um sich zu orientieren und in die neue Situation einzufinden. Die Selbsthilfe-Kontaktstellen, unter anderem in Köln, Mettmann, im Kreis Wesel und Viersen, konnten keine persönlichen Sprechzeiten mehr anbieten und haben telefonisch oder online Auskunft gegeben. Mit Gruppenleitern wurden auch Videokonferenzen durchgeführt und verschiedene digitale Formate ausprobiert. Gruppengründungen konnten in der Zeit nicht stattfinden, obwohl ein großer Bedarf vorliegt.
Die Reaktionen der Selbsthilfegruppen waren insgesamt so unterschiedlich wie die Gruppen selbst. Während der digitale Austausch für einige sehr gut geeignet ist und schnell Zugänge gefunden wurden, sind für andere die technischen Hürden zu hoch. Viele Selbsthilfegruppen haben ihre persönlichen Treffen zunächst komplett eingestellt. Einige wie die Anonymen Alkoholiker haben sich mit Videochats ausgeholfen. Neue Patienten wurden nicht aufgenommen. Durch den Wegfall persönlicher Begegnungen bestand etwa für Suchtkranke und psychisch Kranke eine erhöhte Gefahr von vermehrten Rückfällen oder verstärkten Krankheitssymptomen.
Auch bei der Landesbehinderten- und Patientenbeauftragten Claudia Middendorf kommen unterschiedliche Stimmungen und Meinungen an. So werden die mittlerweile erfolgten Lockerungen nicht von allen als Erleichterung gesehen, denn sie können für Risikopatienten gefährlich sein, wenn Vorschriften nicht eingehalten werden. Zudem berichtete sie von den Schwierigkeiten der Maskenpflicht besonders für Gehörlose, Menschen mit chronischen Erkrankungen und Behinderte. Wenn der Arzt eine Maske trägt, seien manche Patienten verängstigt.
Kerstin Lohmann ist Koordinatorin der Gesundheitsselbsthilfe NRW. Sie beschäftigt sich unter anderem mit der Frage, wie sich Barrierefreiheit auch zukünftig bei Online-Veranstaltungen gewährleisten lässt. Oder wie sich Sicherheitsvorkehrungen und Vorgaben zur "gemeinsamen" Raumnutzung bei Gruppentreffen umsetzen lassen. Durch ihre Erfahrungen im Projekt "Networking 2.0" ist sie bereits geübt in Webkonferenzen und digitalen Möglichkeiten. Ihrer Meinung nach bekommen Videotools als Kommunikationsmittel in unterschiedlichen Bereichen und Organisationsstrukturen der Selbsthilfe eine größere Bedeutung. Virtuelle Treffen ermöglichen insbesondere den Menschen eine Teilnahme, denen der Besuch von Präsenzveranstaltungen aufgrund unterschiedlicher Erkrankungen und Behinderungen nicht möglich ist.
Viele ohnehin krisenerfahrene Menschen finden auch unter besonderen Bedingungen kreative Lösungen. Ein Beispiel sind die Beratungsspaziergänge "Walk & Talk".
Unter dem Strich lässt sich festhalten: Auch ohne direkten persönlichen Kontakt ließ und lässt sich einiges bewegen. Wie in vielen anderen Bereichen auch, etwa der Wirtschaft oder dem Bildungssystem, ist die herausfordernde Zeit für die Selbsthilfe auch eine Chance. Die Notwendigkeit, sich der digitalen Herausforderung (weiter) zu stellen, wurde durch die Krise beschleunigt. Über neue Zugänge können auch Menschen für die Selbsthilfe gewonnen werden, die sich sonst nicht dafür interessiert hätten.
Kassenärztliche Vereinigung Nordrhein
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