newborn 5036838 1280Hörgeräteakzeptanz im Verlauf der ersten 12 Monate nach Versorgung
Die frühe Diagnose durch das Neugeborenen-Hörscreening und die folgende Therapie bei Kindern mit Schwerhörigkeiten seit der Einführung des Neugeborenen-Hörscreenings stellt einen großen Meilenstein für die spätere Sprachentwicklung dar. Durch die frühe Anpassung von Hörsystemen ist prognostisch eine bessere Ausgangslage für die zukünftige Hör- und Sprachentwicklung des Kindes gegeben. Bild: Tú Nguyễn auf Pixabay

Während der pädaudiologischen Diagnostik und der frühen Hörgeräteanpassung ist ein multiprofessionelles Netzwerk von Ärzten, Audiologen und Pädagogen tätig. Dadurch werden Kinder mit frühkindlicher permanenter Hörstörung gut versorgt. Das Tragen der Hörsysteme ist ein wesentlicher Faktor, damit die auditive Feedbackschleife ausgebildet werden kann und die Interaktion zwischen Eltern und ihren Kindern ihren natürlichen Lauf nimmt.
In der klinischen Routine wird neben den ärztlichen und audiometrischen Kontrollen eine pädagogisch-therapeutische Vorstellung und ein Beratungsgespräch durchgeführt. Zur Erfassung der ersten Hör- und Sprachentwicklung wird regelhaft der „LittlEars“-Fragebogen (LEAQ) ausgegeben. In dieser Studie wurden von 178 Probanden die Hörgerätetragedauer und die Ergebnisse des LEAQ ausgewertet.
Anmerkung der Redaktion: Der LittlEars® Hörfragebogen ist ein standardisierter und an hörgesunden Kindern normierter Fragebogen. Er ermöglicht eine rasche Beurteilung des auditiven Verhaltens von Kleinkindern mit und ohne Hörschädigung. Der Fragebogen deckt die Hörentwicklung in den ersten beiden Lebensjahren ab bzw. in den ersten beiden Jahren nach einer CI- oder Hörgerät-Anpassung.

Im LEAQ-Fragebogen konnten im Mittel 15 Fragen positiv beantwortet werden. Bei einem durchschnittlichen Lebensalter von 12 Monaten und fünf Tagen (MW) Monaten entspricht der Wert in dieser Stichprobe dem Entwicklungsalter von 6–10 Monaten. Für die Studiengruppe liegt demnach die durchschnittliche Diskrepanz vom Lebens- zum Hörentwicklungsalter zwischen 2 Monaten und 4 Monaten und fünf Tagen.
Die Auswertung der Beratungsgespräche in Verbindung mit den Ergebnissen des Dataloggings ergeben, dass die Akzeptanz der Hörgeräte (Tragezeit) lediglich bei 44,9% der Kinder gut (8–12 Stunden) ist. Bei 25,3% besteht eine mittlere (4–7,9 Stunden) und bei 29,8% eine schlechte Akzeptanz (kleiner 3,9 Stunden). Anhand dieser Ergebnisse wird der Bedarf an niedrigschwelliger, ergänzender Beratung in Bezug auf den Einfluss der Verbesserung der auditiven Wahrnehmung durch die Hörgeräte und deren Auswirkungen auf den zukünftigen Spracherwerb deutlich.

Frühkindliche permanente Hörstörungen betreffen etwa 1–3 von 1.000 Kindern und führen unbehandelt, in Abhängigkeit vom Grad der Hörstörung, zu einer Verzögerung der Sprachentwicklung und häufig auch der kognitiven Entwicklung. Das Neugeborenen-Hörscreening (NHS) wurde 2009 nach Vorbereitung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) flächendeckend in Deutschland eingeführt, so dass heute die meisten frühkindlichen Hörstörungen bereits im frühen Säuglingsalter diagnostiziert werden. Durch die frühzeitige Einbindung in die klinische Versorgung steht Kindern mit Hörstörungen und ihren Familien ein großes Behandlungsspektrum an Begleitung mit Hörgeräten oder implantierbaren Hörsystemen zur Verfügung. Bedingt durch das geringe Alter der Kinder und deren physiologische Reifungsprozesse stellt dies eine besondere Herausforderung für die pädaudiologische Diagnostik dar. Neben den messtechnischen Möglichkeiten bedarf es einer geschulten Beobachtung der sehr jungen Kinder während der Einstellung der Hörsysteme (Hörgeräte, Cochlea-Implantate). Subjektive Beobachtungskriterien wie die Veränderung der Atemfrequenz, der Gesichtsfarbe, des Saugreflexes und der Bewegung der Extremitäten sind nur einige der möglichen Reaktionen, die während der Anpassung des Hörsystems auftreten können.
Mit der gegenwärtigen Hörgeräteversorgung ist die Erwartung verbunden, dass auch bei Kindern, die mit einer Hörminderung geboren wurden, während der frühen Phasen des primären Spracherwerbs die Grundlage für eine altersgerechte Hör- und Sprachentwicklung gelegt werden kann. Bereits während des ersten Lebensjahres artikuliert das Kind ab dem dritten bis sechsten Lebensmonat erste Laute, so dass sich die auditorische Feedbackschleife entwickelt. Fehlt hier der angemessene Input seitens der Familie, verändert das die Varianz und Quantität der lautlichen Äußerungen. Da die mütterliche und väterliche Interaktion, die Sprechrate und die Kontingenz zwischen der primären Bezugsperson und dem Kind die Grundlage für das akustisch-linguistische Lernen darstellen, sollte im Prozess der frühen Hörgeräteanpassung das Bedingungsfeld und die Lebenswelt der Eltern mitberücksichtigt werden. Im Kontext der frühen kommunikativen Entwicklung können sich die Sensomotorik, Kognition und Motorik ausbilden. Im Falle der späten Versorgung mit Hörsystemen wird der Spracherwerb derart beeinträchtigt, dass dies entsprechende Auswirkungen bis ins Erwachsenenleben haben kann.
Neben den klinischen Einrichtungen steht ein Netzwerk von Institutionen zur Verfügung, das den Eltern nach Diagnose und Erstanpassung von Hörgeräten einen Rückhalt in Beratung und Förderung bietet. Im Idealfall besteht eine interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Teilgebieten der Versorgung von Kindern mit Hörstörung. Für die Familien sind vielfältige Möglichkeiten der frühen Förderung je nach Bundesland möglich
Die Regelungen sollten vom ersten Verdacht an über die Konfirmationsdiagnostik und Einleitung der Therapie durch Hörgeräte und Frühförderung den idealen Weg für die Entwicklung des Kindes innerhalb der sensiblen Phasen der Hörbahnreifung und Sprachentwicklung ermöglichen. Ziel ist es, Kinder mit hochgradigen Hörstörungen früh zu erkennen, die Voraussetzungen für den Lautspracherwerb zu schaffen und ggf. den Schritt zur Einleitung weiterer Maßnahmen, z.B. der präoperativen Diagnostik vor Cochlea-Implantation, einzuleiten. Um die optimalen Bedingungen für die Reifung der Hörbahn zu erreichen, ist die Qualität und Quantität des auditiven Inputs in den ersten Lebensjahren von großer Bedeutung.
Die an diesem Kollektiv durchgeführte Studie zeigt, dass für die untersuchte Gruppe im Alter von einem Jahr die Tragezeit bei 44,9% der Kinder zwischen 8 bis 12 h liegt und somit eine gute Akzeptanz der Hörgeräte vorhanden ist. 25,3% tragen das Hörsystem zwischen 4 und 7,9 h. Mit einem Durchschnitt von 4 Monaten und 9 Tagen ist die Einleitung der ersten therapeutischen Maßnahmen innerhalb des angestrebten Zeitraums von sechs Monaten gelungen. Kinder mit einer zusätzlichen Krankheit, einem Syndrom oder einer anderen erworbenen Ursache für die Schwerhörigkeit zeigen im Unterschied zur Gruppe der Kinder ohne zusätzliche Behinderung ebenfalls eine geringere Akzeptanz. Obwohl der Zeitpunkt der Versorgung deutlich früher ist, bleiben die Probleme mit der Trageakzeptanz bei Kindern mit zusätzlichen Problemen bestehen.
Bei einem Teil der Kinder mit hochgradiger Schwerhörigkeit oder Taubheit handelt es sich um Kandidat:innen für eine Cochlea- Implantation. Die frühzeitige Hörgeräteversorgung vor CI-Versorgung vereinfacht diesen Kindern den Einstieg in das Hören mit CI-System und verkürzt die Phase ohne Versorgung.
Kinder mit hochgradigen Hörminderungen zwischen 65 und 80 dB haben in Abhängigkeit vom Sprachverstehen und der Sprachentwicklung die Möglichkeit, mittels Cochlea-Implantaten besser hören zu können und aufgrund dessen Sprache zu erwerben. In diesem Zusammenhang werden die Verbesserung der sozial-emotionalen Entwicklung, das Verstehen im Geräusch und das Lokalisieren von Sprache in Bezug auf die Lebensqualität diskutiert. Die frühzeitige Diagnose ist für die prospektive Entwicklung deshalb wesentlich.
In der Gruppe der gering- bis mittelgradig schwerhörigen Kinder erreichen viele bis zum ersten Lebensjahr keine altersgerechte Hör- und Sprachentwicklung. Das weitere Beobachten der Entwicklung im zweiten Lebensjahr scheint hier angemessen. Auch Kinder mit einseitiger Taubheit zeigen noch Auffälligkeiten, so dass der weitere Spracherwerb beobachtet werden sollte und ggf. der Beginn einer logopädischen Behandlung sinnvoll ist.
Dies ist in Bezug auf die weitere Sprachentwicklung essentiell, damit die Ausbildung der phonetisch-phonologischen Entwicklung, die Segmentierung von Sprache und die Ausbildung des ersten Wortschatzes bis zum Alter von zwei Jahren unterstützt werden kann. Schlechtes auditives Verstehen zeigt Langzeitfolgen für die Ausbildung des auditiven Gedächtnisses, den Erwerb des Wortschatzes, die Ausbildung der Grammatik und die sozial-emotionale Entwicklung.
Regelmäßige Kontrolltermine in einer Klinik für Phoniatrie und Pädaudiologie sind wünschenswert und notwendig, damit die Meilensteine des primären Spracherwerbs im Rahmen der Verlaufsdiagnostik dokumentiert und bei Bedarf Therapie- und Unterstützungsangebote eingeleitet werden. Hierdurch können mögliche Hindernisse in der Akzeptanz der Hörgeräte ausgeräumt werden.
Die Diagnose und Beratung in Bezug auf die Funktion der Technik bleiben wichtige Aspekte der klinischen Behandlung. Auch die Qualität der frühen Interaktion zwischen Eltern und Kind, der Blickkontakt, die präverbale Entwicklung, verbales und nonverbales Verhalten, Gestik und Mimik sowie die geteilte Aufmerksamkeit sollten bereits früh in die klinische Behandlung aufgenommen werden. Trotz umfassender Diagnose und Beratung bleiben jedoch Hürden in der Vermittlung der Folgen der Diagnose bestehen, insbesondere bei Familien mit einer anderen Muttersprache als Deutsch.

Schlussfolgerung dieser Studie
Um eine möglichst lange Tragezeit der Hörhilfen bzw. eine hohe Hörgeräteakzeptanz im ersten Lebensjahr zu erreichen, sollten folgende Punkte berücksichtigt werden:
• Der Anpassungsprozess und die Beratung sind besonders wichtige Aufgabenbereiche.
• Die Otoplastiken müssen komfortabel sein und die Einstellung der Hörgeräte an die Hörschwelle angepasst sein, damit die Trageakzeptanz erhöht ist und Hörreaktionen deutlich werden.
• In der Phase der Erstdiagnose benötigen Eltern eine niederschwellige Unterstützung durch die Fachkräfte aus der Frühförderung Hören und Kommunikation.
• Hörfrühförderung soll regelmäßig stattfinden.
• Mit einer geringgradigen Schwerhörigkeit reagieren Kinder auf akustische Reize. Dennoch müssen Eltern den langfristigen Nutzen der Hörgeräte für die Sprachentwicklung verstehen.
• Familien aus nichtdeutschsprachigen Kulturkreisen benötigen ggf. Kulturvermittler:innen, damit die Diagnose vermittelt und die Bedeutung der Therapie verstanden wird.
Der LEAQ ist ein Verfahren, das im ersten Lebensjahr gut den Verlauf der Hörentwicklung erfassen kann. Durch die konkreten Beispiele können Eltern das Hörverhalten ihres Kindes selbst einschätzen. Der Fragebogen reflektiert zusätzlich die Entwicklung des Kindes mit Hörgeräten.
Die frühkindliche Diagnose, Intervention und fortlaufende Begleitung von Kindern mit kongenitalen und erworbenen Hörschädigungen sind in einem multiprofessionellen Umfeld erforderlich.
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Quelle: © 2023 Streicher et al. / B, Kral K, Lang-Roth R
• Barbara Streicher - Klinik und Poliklinik für HNO-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie, Schwerpunkt Phoniatrie und Pädaudiologie/CIK, Medizinische Fakultät, Universität zu Köln, Köln, Deutschland
• Katrin Kral - Klinik und Poliklinik für HNO-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie, Schwerpunkt Phoniatrie und Pädaudiologie/CIK, Medizinische Fakultät, Universität zu Köln, Köln, Deutschland
• Ruth Lang-Roth - Klinik und Poliklinik für HNO-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie, Schwerpunkt Phoniatrie und Pädaudiologie/CIK, Medizinische Fakultät, Universität zu Köln, Köln, Deutschland
GMS Z Audiol (Audiol Acoust) 2023;5:Doc08
doi: 10.3205/zaud000034, urn:nbn:de:0183-zaud0000341

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