Im großangelegten Forschungsverbundprojekt NeuroSensEar entwickelt die Technische Universität Ilmenau eine von der Biologie inspirierte Technologie, die hocheffiziente Hörgeräte möglich macht. (Die CIV NRW News berichtete:) Menschen mit Hörbeeinträchtigung sollen damit ihre Fähigkeit zur Hörwahrnehmung weitgehend zurückerlangen.
Über elf Prozent der Menschen in der Europäischen Union sind von Hörverlust betroffen, aber nur 41 Prozent von ihnen verwenden eine Hörhilfe, weil sie selbst mit einem Gerät Sprache nicht zufriedenstellend verstehen. Andere verzichten auf ein Hörgerät, weil die Anpassung durch einen Fachmann oft aufwendig und zeitraubend ist.
Bild: Untersuchung des intelligenten Sensors im Vergleich zu einem klassischen Mikrofon, Michael Reichel, TU Ilmenau
Konventionelle Hörgeräte analysieren den Schall und heben wichtige Signale, vor allem Sprache, gegenüber unwichtigen Signalen und Störgeräuschen, etwa Straßenlärm oder Hintergrundgeräusche, hervor. Hierzu werden alle Schallsignale gefiltert und analysiert. Doch die Hörgeräte stoßen an ihre Grenzen.
Herausforderung für aktuelle Hörgeräte: Filterung komplexer Geräuschsituationen
Je mehr Schallquellen vorhanden sind, zum Beispiel in Bahnhofshallen oder Restaurants, desto schwieriger ist es für Hörgeräte, das wichtige Signal Sprache von Störgeräuschen zu trennen. Zudem verbrauchen die Programme, die die Hörwahrnehmung auch in solch komplexen Hörszenarien verbessern, so viel Rechenleistung und Energie, dass sie in den batteriebetriebenen Hörgeräten nicht eingesetzt werden können.
Ziel: Akzeptanz für Hörhilfen erhöhen durch intelligente, adaptive Sensorik
Ziel des Projekts NeuroSensEar („Neuromorphe akustische Sensorik für leistungsfähige Hörgeräte von morgen“) ist es, die Akzeptanz von Hörhilfen in der Bevölkerung zu erhöhen und damit die Versorgung schwerhöriger Menschen zu verbessern. Herzstück der innovativen Technologie ist ein intelligenter Sensor, der sich automatisch an die jeweilige Hörsituation und den individuellen Hörverlust des Benutzers anpasst. Dazu erhält der Sensor eine Steuerung, die in Echtzeit auf wechselnde akustische Szenerien, zum Beispiel im Wohnzimmer oder im Bahnhof, reagiert und lebenslang neue Hörszenarien dazulernt. Durch seine lebenslange Lernfähigkeit ist es dem Sensor immer besser möglich, hauptsächlich die wichtigen Signale aufzunehmen: Sprachsignale zum Beispiel würden mit einer höheren Verstärkung und Empfindlichkeit aufgenommen, während Hintergrundgeräusche gedämpft würden. Indem sie ein besseres Hörverständnis ermöglichen, wären künftige Hörsysteme so nicht nur leistungsfähiger: Mehr Rechenleistung bei gleichem, wenn nicht geringerem Energieverbrauch macht sie auch effizienter.
Das menschliche Gehör als Vorbild
Der innovative Sensor kann in Hörhilfen aller Art zum Einsatz kommen: Hauptsächlich in Hörgeräten und Hearables, das sind Kopfhörer mit Zusatzfunktionen wie Sprachverständnisverbesserung und Störgeräuschunterdrückung, aber auch in Cochlea-Implantaten, also Hörprothesen für hochgradig Schwerhörige, bei denen Hörgeräte nicht ausreichen, und für Gehörlose, deren Hörnerv noch funktionsfähig ist. Bei der Entwicklung der innovativen Hörgerätetechnologie haben sich die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler von der biologischen Informationsverarbeitung des menschlichen Gehörs inspirieren lassen. Vor allem die starke Anpassungsfähigkeit der Sensorik, die in den Sensor integrierte Signalverarbeitung und die enge Verknüpfung zwischen Sensor und Schallverarbeitung lehnen sich an die Fähigkeiten des menschlichen Gehörs an.
Quelle:Technische Universität Ilmenau
An dem Projekt sind neben der TU Ilmenau die Friedrich-Schiller-Universität Jena, das Fraunhofer-Institut für Digitale Medientechnologie IDMT und das IMMS Institut für Mikroelektronik- und Mechatronik-Systeme beteiligt.
Die Carl-Zeiss-Stiftung fördert das fünfjährige Forschungsprojekt, das im Oktober startet und ein Gesamtvolumen von über 5,5 Millionen Euro hat, im Rahmen des Förderprogramms „CZS Durchbrüche“ mit knapp fünf Millionen Euro.