Die Deutsche Zentrale für Tourismus e. V. (DZT) hatte wieder viele internationale Fachbesucher, darunter Vertreter aus Politik, der Reiseindustrie, DMOs (Destinationsmanagementorganisation), Verbände und Hochschulen sowie Experten und Journalisten eingeladen.
Es wurden folgende Fragen erörtert:
- Wie kann in touristischen Angeboten auf die verschiedenen Bedürfnisse von Urlaubern mit Beeinträchtigung eingegangen werden?
- Welchen Einfluss hat die aktuelle Pandemie auf die Entwicklung barrierefreier Angebote?
- Welche attraktiven Möglichkeiten bestehen bereits für die verschiedenen Zielgruppen barrierefreier Angebote?
- Und wie sehen die damit verbundenen Chancen und Herausforderungen für touristische Anbieter und DMOs aus?
Umfassend und praxisnah setzten sich die Experten aus unterschiedlichen Blickwinkeln in Diskussionen und Fachvorträgen mit diesen Fragestellungen auseinander. Die Teilnehmer konnten Fragen per Chat, Telefon oder E-Mail stellen.
Für die Veranstaltung wurden Gebärdensprach-, Simultan- und Schriftdolmetscher eingesetzt. So konnten auch die englischsprachigen Beiträge mit der Simultanübersetzung mühelos verstanden werden.
Moderiert wurde das Programm souverän von Daniela Wiesler-Schnalke.
Die Eröffnungsrede übernahm Olaf Schlieper, Deutsche Zentrale für Tourismus e.V.
Da sich Thomas Bareiß, MdB verspätete wurde sein Grußwort nach der Rede von Jürgen Dusel, Beauftragter der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen gesprochen.
Neha Arora, Planet Abled (Indien) berichtete über die Barrierefreiheit bei Reisen in Indien. Bei der Podiumsdiskussion: „Barrierefreiheit umsetzen“, barrierefreie Planung und Umsetzung touristischer Einrichtungen berichtete Yuval Wagner aus Israel. Hier ist die Barrierefreiheit gesetzlich verankert und so können Touristikunternehmen sogar verklagt werden, wenn sie sich nicht an die Vorgaben halten. Jedes Unternehmen muss Informationen bereitstellen. Es gibt Barrierebeauftragte, die beraten und prüfen. Yuval Wagner sieht neben den Beeinträchtigten auch deren mitreisende Angehörige und erweitert damit den Kreis der Zielgruppe. Für ihn ist klar, das ganze Reisesystem muss frei von Barrieren sein, damit Reisen für Beeinträchtigte problemlos möglich sind. Sein nächstes Ziel ist die Gestaltung von Gruppenreisen, um auch größeren Behindertengruppen ein gemeinsames Reiseerlebnis bieten zu können.
An der Diskussion beteiligten sich auch Karina-Anna Dörschel, Geschäftsführerin der Sonnenhotels, die ein Hotel komplett barrierefrei gestaltete. Leider musste sie dieses Hotel durch die Pandemie aufgeben.
Zusammen mit Alexander Lang, Experte für „Barrierefreies Leben“ und Dipl.-Ing. Michael Müller, Sachverständiger für barrierefreies Planen stellte sie fest, dass ein barrierefreier Neubau nur um etwa 3 % höhere Baukosten verursacht. Ein Umbau im Bestand kann aber je nach Aufwand teuer werden.
Dr. Dorothee Entrup, Museum Barberini, hat frühzeitig virtuelle Rundgänge veranstaltet. Für Seh- und Hörbeeinträchtigte hat das Museum spezielle Formate entwickelt. Reiner Delgado, Deutscher Blinden- und Sehbehindertenverband findet solche Rundgänge im Prinzip gut, vermisst in Zeiten von Corona aber das Tasten und Fühlen, das in den virtuellen Museumsrundgängen nicht möglich ist. Andererseits können virtuell auch andere Museen in weiter entfernten Städten besucht werden. Bei den Reiseportalen fehlen Delgado weitergehende Eingabemöglichkeiten und Informationen für Sehbeeinträchtigte. So kann man z.B. nicht mitteilen, dass man am Buffet Unterstützung braucht. Es sollte daher bei den Betrieben möglich sein, persönlich abzufragen, was man braucht und was der Betrieb anbieten kann. Die „Sehenswürdigkeiten“ mit Besonderheiten für Blinde werden kaum kommuniziert. Delgado berichtete von einer Sonnenuhr auf der die sonnenbeschienene Seite warm und die andere kalt ist und so der Übergang ertastet werden kann und von Hallen, in denen ein besonderer Klang entsteht. Diese Eigenarten werden aber nicht mitgeteilt.
Bei den eingespielten Videos innerhalb der Fachtagung vermissten die Sehbeeinträchtigten die fehlende Audiotranskription.
Im Tagungsabschnitt „Barrierefreiheit kommunizieren“ berichteten Gaby Paluszak, Dortmund, Sigrun Krapf, Erfurt und Anke Haub, Frankfurt am Main über ihre Erfahrungen mit der Zertifizierung nach „Reisen für Alle“. Rolf Schrader und Olaf Schlieper erklärten den Zertifizierungsablauf. Hierbei werden die Unternehmen vorab besucht und die verschiedenen relevanten Bereiche auf Barrierefreiheit geprüft. Die Berichte werden dann gesichtet und beurteilt. Ist die Beurteilung positiv, erfolgt die Zertifizierung, die alle 3 Jahre erneuert werden muss. Es können sich Einzelunternehmen, Gemeinde, Städte oder auch ganze Regionen zertifizieren lassen. Dazu müssen sie die Vorgaben von „Reisen für Alle“ erfüllen.
Nach der Mittagspause berichteten Debbie North & Gina Bradbury (FoxAccess – The Outdoor Guide, UK) über barrierefreie Aktivreisen. Debbie North reiste im Rollstuhl vom Norden bis zum Süden durch Deutschland und lobte die Barrierefreiheit, die sie in Deutschland erfahren durfte.
Über barrierefreie Outdoor-Angebote berichtete Uta Holz, die von den Weinfesten der Südlichen Weinstraße berichtete, für die eigene Zertifikate erarbeitet wurden, da es für Feste noch keine Zertifizierung durch „Reisen für Alle“ gibt.
Dr. Regine Prunzel vom Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) stellte den LWL und seine Institutionen vor. Der LWL betreut 200 Einrichtungen, darunter 18 Museen. Auch die Freilichtmuseen Detmold und Hagen gehören dazu. In Hagen haben der CIV NRW und die CI-SHG Hagen beratend bei der Barrierefreiheit für Hörbeeinträchtigte geholfen.
Barbara Ernwein, Leiterin des Baumwipfelpfads Steigerwald berichtete über die Aktivitäten im Bereich aktives erlebbar machen für Behinderte. Darüber berichtete auch Katja Weickmann vom Global Nature Fund, die sich mit der Barrierefreiheit von Naturparks beschäftigt.
Der anschließende Vortrag von John Sage über die Entwicklung von Richtlinien für inklusives und barrierefreies Reisen durch das World Travel & Tourism Council (WTTC) klang eher wie eine Werbesendung für die private weltweite Reisewirtschaft. Er ist vom WTTC beauftragt, Richtlinien zur Barrierefreiheit zu entwickeln. Sein Wunsch ist, private und öffentliche Reiseinstitutionen zur Zusammenarbeit zu bewegen.
Das Schlusswort übernahm Olaf Schlieper und beendete um kurz vor 15 Uhr die Fachtagung.
Insgesamt war es eine gelungene Veranstaltung mit vielen Informationen zum Thema barrierefreier Tourismus. Etwa 15 % der Bevölkerung sind behindert und bilden damit eine große Zielgruppe für die Tourismusbranche. Angebote auch für diese Zielgruppe nutzbar zu machen, sollte daher selbstverständlich sein.
Die Veranstaltung können Sie hier als Videoclips sehen: https://www.germany.travel/de/trade/itb-2021/tag-des-barrierefreien-tourismus-2021.html?mc_cid=f98c2c5d06&mc_eid=52dff88430
Information:
Hörurlaub
Der CIV NRW e.V. bietet mit seiner Webseite www.reisen-und-hoeren.de (auch über hoerurlaub.de erreichbar) Reiseinformationen speziell für lautsprachlich hörbeeinträchtigte Cochlea Implantat- oder Hörgeräteträger. Zusätzlich kann auf das Angebot von Reisen für Alle von der Webseite aus zugegriffen werden.
„Reisen für Alle“ ist die bundesweit gültige Kennzeichnung im Bereich Barrierefreiheit. Damit werden erstmals für die Gäste notwendige Informationen durch ausgebildete Erheber erfasst und mit klaren Qualitätskriterien bewertet.
Das Projekt ist ein vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie gefördertes Vorhaben des Deutschen Seminar für Tourismus (DSFT) Berlin e. V.
Seit März 2020 setzen alle Bundesländer und eine Hotelkooperation das Kennzeichnungssystem ein. Mehr als 3.000 Betriebe und Angebote wurden mit dem umfangreichen Kriterienkatalog geprüft. Es gibt bereits zahlreiche gute Beispiele und Initiativen in verschiedenen Regionen, doch barrierefreie Tourismusangebote sind in Deutschland noch lange nicht flächendeckend zu finden.
Text: Peter Hölterhoff, Logo: Reisen für Alle