Jubiläumsveranstaltung: 25. Klinikvertretertreffen der Deutschen Tinnitus-Liga in der Habichtswald-Klinik in Kassel
„Gemeinsam an einem Strang ziehen“
Die Deutsche Tinnitus-Liga e. V. (DTL) richtete am 24. Februar 2024 ihr 25. Treffen der Klinikvertreterinnen und -vertreter sowie 17. Treffen der Tinnitus-Bewältigungs-Therapie-Teams in der Habichtswald-Klinik in Kassel-Bad Wilhelmshöhe aus. Fachleute aus Tinnitus-Kliniken und ambulanten Tinnitus-Zentren, HNO-Ärztinnen und -Ärzte sowie Psychotherapeuten aus ganz Deutschland kamen zusammen, um über Behandlungsmöglichkeiten bei Ohrgeräuschen zu diskutieren.
Bild: Referenten und Workshop-Leiterinnen des 25. Klinikvertretertreffens in der Habichtswald-Klinik (v. l. n. r.): Dr. Helmut Schaaf, Dr. Frank Matthias Rudolph, Dipl.-Ing. Siegrid Meier, PD Dr. Kai Kallenberg, Bernd Strohschein, Dr. Volker Kratzsch, Prof. Dr. Gerhard Goebel, Dagmar Beyrau und Lutz-Michael Schäfer. Foto: Sabine Wagner, DTL.
„Ein Vierteljahrhundert – Best Practice in der ambulanten und stationären Tinnitus-Behandlung“ lautete das Motto der Fachveranstaltung, bei der insbesondere auch der kollegiale Austausch im Mittelpunkt stand.
Zu Beginn der Veranstaltung begrüßten Bernd Strohschein, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Tinnitus-Liga e. V. (DTL), und Tanja Löwenstein, Geschäftsleitung der Habichtswald-Klinik, die Teilnehmenden. „Wir freuen uns sehr, in diesem Jahr das 25. Treffen für Tinnitus-Expertinnen und -Experten aus dem stationären und ambulanten Bereich in der Habichtswald-Klinik ausrichten zu dürfen. Bereits das erste Treffen im Jahr 1998 fand hier statt – die Deutsche Tinnitus-Liga und die Klinik verbindet also eine langjährige erfolgreiche und auch sehr persönliche Zusammenarbeit“, so Bernd Strohschein.
Einen Rückblick auf die Anfänge und die Entwicklung der Veranstaltungsreihe hielt Prof. Dr. Dr. med. Gerhard Goebel, Wissenschaftlicher Beirat der Deutschen Tinnitus-Liga e. V. Er beschrieb, wie zu Beginn die gemeinsame Erarbeitung von Qualitätsstandards für eine gute Tinnitus-Behandlung im Vordergrund stand und sich die Treffen dann zu einer Fortbildungsveranstaltung entwickelten. Prof. Goebel wies außerdem darauf hin, dass in der aktuellen Behandlungsleitlinie für den Chronischen Tinnitus die Teilnahme an einer Selbsthilfegruppe empfohlen werde. Diesbezüglich ergänzte Bernd Strohschein, dass es neben der Online-Selbsthilfegruppe der Jungen DTL nun auch eine digitale Selbsthilfegruppe für alle Altersklassen gebe.
Der Kasseler Facharzt für HNO-Heilkunde Lutz-Michael Schäfer, Leitender Arzt der HNO-Abteilung der Habichtswald-Klinik, referierte über die „Möglichkeiten und Schwierigkeiten eines externen Consults im Fachbereich HNO an einer Klinik“. Auch er ließ die Anfänge des Klinikvertretertreffens Revue passieren, das aus seinem Brainstorming mit der DTL entstand und zum Ziel hat, „gemeinsam an einem Strang zu ziehen“. Wichtig für Tinnitus-Betroffene sei das Umdenken: Der allseits bekannte Satz von ärztlicher Seite bei der Tinnitus-Diagnose – „Damit müssen Sie leben“ – müsse umgewandelt werden in die konstruktive Fragestellung „Wie kann ich damit leben?“.
Über „Achtsamkeit bei Tinnitus“ sprach Dr. med. Frank Matthias Rudolph, Facharzt für psychosomatische Medizin und Rehabilitationswesen, niedergelassener Ärztlicher Psychotherapeut in Boppard und Teilnehmer des ersten Klinikvertretertreffens im Jahre 1998. Dr. Rudolph zufolge ermöglichten regelmäßige, in den Alltag eingebaute Achtsamkeitsübungen unter Nutzung aller fünf Sinne eine Veränderung hin zu einer die Ohrgeräusche akzeptierenden Haltung, einem wertfreien Wahrnehmen und Umdeuten des Tinnitus. In seiner Praxis gibt Dr. Rudolph seinen Patientinnen und Patienten kleine Achtsamkeitsübungen für jeden Tag auf. Sehr wichtig ist ihm auch eine positive Herangehensweise an die Therapie: „Psychotherapie sollte Freude machen – sowohl den Patienten als auch den Therapeuten!“
Das Thema „Pulssynchrones Ohrgeräusch – ein Fall für den Neuroradiologen“ stand im Zentrum des Vortrags von PD Dr. med. Kai Kallenberg, Chefarzt der Klinik für Diagnostische und Interventionelle Neuroradiologie am Klinikum Fulda. Tinnitus sei definiert als ein Geräusch, dem keine physikalische Schallquelle zugrunde liege. Beim pulssynchronen Ohrgeräusch, das bei weniger als zehn Prozent der Tinnitus-Patientinnen und -Patienten vorliege, existiere hingegen eine physikalische Schallquelle, hervorgerufen beispielsweise durch die Durchblutung oder den Herzschlag. Pulssynchrone Ohrgeräusche können durch verschiedene Ursachen entstehen und nach dem Ort ihrer Entstehung unterteilt werden in arterielle Ursachen wie Arteriosklerose, arteriovenöse Ursachen wie arteriovenöse Fisteln und venöse Ursachen wie eine intrakranielle Hypertension. Bildgebende Untersuchungsmethoden seien die MR-Angiographie und die CT-Angiographie – bei drei Vierteln der Betroffenen könne eine spezifische Ursache gefunden werden. Beispielsweise könne eine Stenose der Halsschlagader durch einen Stent versorgt werden, woraufhin das Ohrgeräusch verschwinde. Für die seltene Untergruppe des pulssynchronen Tinnitus gibt es seit Kurzem in der Deutschen Tinnitus-Liga auch eine digitale Selbsthilfegruppe.
Dr. med. Volker Kratzsch, Ärztlicher Direktor und Chefarzt der Abteilung Hörbehinderung, Tinnitus und Schwindelerkrankungen der VAMED Rehaklinik Bad Grönenbach, referierte über „Schlafstörung und Tinnitus“. Sich selbst zu sagen „Ich muss jetzt schlafen!“ sei Dr. Kratzsch zufolge die sicherste Methode, nicht einschlafen zu können. Viele Tinnitus-Patienten seien davon überzeugt, dass ihre Schlafstörungen durch den Tinnitus entstanden seien, dabei habe der Patient häufig bereits vor dem Tinnitus schlecht geschlafen, die Schlafstörung werde jedoch auf die Ohrgeräusche geschoben. Angststörungen, Depressionen und Schlafstörungen seien häufige Begleiterkrankungen bei Tinnitus. Eine gezielte kognitive Verhaltenstherapie gegen Insomnie (Schlafstörungen) führe zu einer signifikanten Verbesserung des Schlafs und der Tinnitus-Belastung, verbunden mit einer Zunahme der Schlafdauer. Wichtig sei es bei der Beratung, den Betroffenen einfache Tipps zur Schlafhygiene an die Hand zu geben.
Am Nachmittag stand ein abwechslungsreiches Workshop-Programm zur Auswahl. In Workshop 1 beschäftigte sich die Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Dagmar Beyrau von der Tinnitus-Klinik Dr. Hesse in Bad Arolsen mit „Psychopharmaka bei Tinnitus“. Dipl.-Ing. Siegrid Meier gab in Workshop 2 einen „Überblick über Einsatz und Möglichkeiten von Hörsystemen“. In Workshop 3 hielt Dr. med. Helmut Schaaf, Leitender Oberarzt der Tinnitus-Klinik Dr. Hesse in Bad Arolsen, eine „Einführung in die Tinnitus-Wahrnehmung für Neu- und Quereinsteiger“.
Das 25. Klinikvertretertreffen endete mit einem gemeinsamen Austausch der Teilnehmenden über künftige interessante Themen sowie die aktuelle Veranstaltung. „Die Vorträge waren einfach spitze!“, brachte es eine Teilnehmerin auf den Punkt.