Portrait Monika Hedstrom mit Implantat, MedEl „Ein Bus war schuld: Er hat mich beim Abbiegen übersehen und angefahren. Ich erlitt ein starkes Hirntrauma und wurde ins künstliche Koma versetzt. Danach war alles anders“, erzählt Monika Hedstrom, „Nachdem ich nach sieben Wochen endlich wieder das Krankenhaus verlassen konnte, musste ich vieles neu lernen. Gravierender jedoch war, dass ich infolge des Unfalls auf dem linken Ohr immer schlechter hören konnte. Schließlich hatte ich ständig auch einen dauerhaft lästigen Piepton - Tinnitus“, erzählt Monika Hedstrom.
Bild: Monika Hedstrom: „Dank meines Cochlea-Implantats kann ich wieder hören und habe meinen Tinnitus besser im Griff“ © MED-EL 

Als Ursache vermutete der sie damals behandelnde Facharzt eine traumatische Schädigung im Innenohr. Hörsinneszellen im Bereich der Schnecke wurden durch das Trauma irreparabel geschädigt und verursachten einen Tinnitus. Der dauerhafte Piepton im Ohr hielt nicht nur an und wurde lauter, sondern für Monika auch zum psychischen Problem – die Lebensfreude war getrübt, der Stress enorm.
So wie es Monika ging, geht es vielen. Tinnitus – das lästige Ohrgeräusch – ist heute eine Volkskrankheit: Laut WHO leiden allein in Deutschland rund 12 Prozent an einem dauerhaften Piepen, Klingeln oder Hämmern im Ohr, bei einem Prozent geht man davon aus, dass sie einen enormen Leidensdruck haben und schwerstbelastet sind. Dauert das Ohrgeräusch länger als drei Monate, spricht man von einem chronischen Ohrgeräusch, das dann zu einer Tinnitusbelastung führen kann.
Die Ursachen für einen Tinnitus sind ganz unterschiedlich: „Aus klinischer Sicht gibt es verschiedene Ursachen, wie z. B. ein Hörsturz oder eine Mittelohrentzündung, aber auch Veränderungen an der Halswirbelsäule, Stressexposition oder eine internistische Erkrankung, z. B. ein schlecht eingestellter Bluthochdruck können Ohrengeräusche hervorrufen“, erläutert Prof. Dr. Birgit Mazurek, Direktorin des Tinnituszentrums an der Charité Berlin. Sehr häufig ist der Tinnitus mit einer Schwerhörigkeit verbunden.
„Das Entscheidende ist jedoch, dass die Betroffenen nicht nur das Ohrgeräusch haben, sondern dass sie dies als Belastung empfinden. Das führt dazu, dass Patienten auch noch begleitende Symptome oder Erkrankungen (Komorbiditäten) zeigen, wie etwa Schlafstörungen, Konzentrationsstörungen, Depressionen oder Ängste und im schlimmsten Fall sogar arbeitsunfähig sind“. Auf der anderen Seite können auch psychischen Belastungen Tinnitus verursachen – hier ist eine deutliche Wechselwirkung erkennbar.
Die Zahl der Tinnitus-Betroffenen nimmt weiter zu. Ein Grund dafür ist unter anderem der demographische Wandel – es gibt immer mehr ältere Menschen, in deren Altersgruppe Hörstörungen von größerer Relevanz sind. Auch die zunehmende Lärmexposition spielt eine große Rolle. Sie führt dazu, dass Hörsinneszellen geschädigt werden und auch das Stressempfinden auf psychosomatischer Ebene steigt.
Nicht nur Senioren, gestresste ManagerInnen oder mit Erziehung und Beruf doppelt belastete Personen leiden an Tinnitus, auch immer mehr Kinder und Jugendliche sind betroffen – sei es infolge einer extremen Überforderungssituation durch schulischen Leistungsdruck, aber auch durch Lärmexposition in Form extrem lauter Musik, gerne auch über Kopfhörer oder durch andere laute Ereignisse wie Silvester-Knallkörper oder Böller.
„Die Corona-Pandemie hat die Zahl der Tinnitus-Patienten noch einmal signifikant erhöht. Ängste, Sorgen und Stress waren hier in allen Alters- und Berufsgruppen der Auslöser, aber auch der Verstärker bei Patienten, die bereits von Tinnitus betroffenen waren“, sagt die Tinnitus-Expertin.
Im akuten Stadium ist Tinnitus oftmals noch heilbar, wenn zügig beispielsweise eine medikamentöse Behandlung mit Cortison stattfindet – dann bildet sich das Ohrgeräusch bestenfalls zurück.
„Im chronischen Stadium, also ab einer Dauer des Ohrgeräuschs von drei Monaten, muss man jedoch zum jetzigen Zeitpunkt sagen, dass Tinnitus nicht heilbar ist. Das Ohrgeräusch bleibt, jedoch kann man lernen, damit umzugehen, drüber wegzuhören, so dass sich der Leidensdruck reduziert und die Lebensqualität wieder steigt“, erklärt die Direktorin des Tinnituszentrums an der Charité Berlin. „Hier hilft oftmals eine Therapie mit einer psychosomatischen Ausrichtung“. Entspannungstechniken oder eine kognitive Verhaltenstherapie – ob in Gruppen oder Einzeltherapie – können nützlich sein, den Leidensdruck zu lindern und mit dem Ohrgeräusch gezielt besser umzugehen.
„Zweimal versuchten HNO-Ärzte den Riss in meinem Innenohr durch eine OP zu finden und zu beheben“, erinnert sich Monika Hedstrom, „Leider erfolglos Kurz nach den Operationen setzten auch die Ohrgeräusche ein und blieben dann pausenlos. Das war wirklich unerträglich und hat mich sehr belastet. Meinem für mich so wichtigen Hobby und mentalen Ausgleich, dem Geigespielen, konnte ich auch nicht mehr nachgehen. Das hat mich zusätzlich sehr bedrückt“.
Doch dann riet ein HNO-Arzt der heute fast 40-Jährigen, sich aufgrund ihrer massiven Schwerhörigkeit ein sogenanntes Cochlea-Implantat einzusetzen. „Bei einem Cochlea-Implantat, kurz CI, handelt es sich um ein hauchdünnes Implantat, das in die Hörschnecke bei Taubheit oder hochgradiger Schwerhörigkeit eingesetzt wird“, erläutert die Direktorin des Tinnituszentrums an der Charité Berlin. “Das Einsetzen des Implantats erfolgt in spezialisierten HNO-Kliniken. Danach werden die Patienten im Rahmen einer langfristigen Hörrehabilitation intensiv und professionell in den CI-Zentren begleitet“.
Monika Hedstrom hat sich für ein solches Cochlea-Implantat entschieden. Bereits vier Tage nach der Operation konnte sie nach Hause. „Der Erfolg war sofort spürbar: Unmittelbar nach der Aktivierung des Implantats hat sich mein Hörvermögen deutlich verbessert und auch der Tinnitus war wesentlich leiser. Heute fokussiere ich mich nicht mehr auf den Tinnitus, was mich früher völlig abgelenkt hat. Nur wenn ich den Audioprozessor einmal nicht trage, das ist der äußere Teil meines Cochlea-Implantats, kommt das Ohrengeräusch gelegentlich wieder, aber das merke ich im Alltag fast nicht mehr. Das ist sehr schön und auch, dass ich wieder Geige spielen kann“.
Insbesondere bei hochgradiger Schwerhörigkeit mit Tinnitus kann ein CI helfen, dass sich die Lebensqualität wieder maßgeblich verbessert. Die Anreicherung des Hörvermögens führt deutlich dazu, dass sich die Tinnitusbelastung reduziert. Dennoch ist es von immenser Bedeutung, dass eine intensive, begleitete Hörrehabilitation stattfindet: „Die Patienten müssen wieder lernen zu hören, mit den Höreindrücken klarzukommen.
Eine Tinnitus-Therapie beinhaltet für HNO-Expert*innen vier Säulen: „Die entscheidende Rolle spielt hier die umfassende Beratung – die individuelle Problemlösungsfindung, die Entscheidung, welche Behandlung individuell für den Patienten am bestgeeigneten ist. Ergänzend kommen eine Versorgung mit Hörsystemen, Hörgeräten oder Hörimplantaten, je nach Schwere des Hörverlusts, kognitive Verhaltenstherapie und Selbsthilfe hinzu. Das wichtigste Ziel einer erfolgreichen Tinnitus-Therapie ist, den Leidensdruck von den schwerstbelasteten Patienten zu nehmen – das ist, was meine Kolleg*innen und mich antreibt.“
Um einen Tinnitus zu vermeiden, ist es wichtig, die eigene Hörgesundheit in den Vordergrund zu stellen, bestenfalls Lärmbelastung und Stress zu vermeiden. Das beginnt schon im Kindesalter: „Wer weiß, dass sich geschädigte Hörsinneszellen nicht mehr regenerieren, wird auf seine Ohren besser aufpassen“, rät Prof. Dr. Birgit Mazurek.

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